Johann Sebastian Bach - Charles Gounod
1. Robert Schumann Méditation (Ave Maria) 5:28 Träumerei 3:43
2. George Frideric Handel
2. Gabriel Fauré Larghetto 3:21 Après un rêve 3:21
3. Jean-Baptiste Lully
3. Camille Saint-Saens Gavotte 2:48 Le Cygne 3:30
4. Christoph Willibald Gluck
4. Maurice Ravel Melodie 3:46 Habanera 3:41
5. Felix Mendelssohn Bartholdy
5. Sergei Rachmaninov Lied ohne Worte op. 109 4:55 Vocalise 7:01
6. Frédéric Chopin
6. Fritz Kreisler Prélude 2:28 Liebeslied 3:50
7. Johannes Brahms Wiegenlied 2:21
Mischa Maisky – Violoncello
Pavel Gililov – Piano
Wenn das Cello Wiegenlieder singt Die britische Cellistin Beatrice Harrison meinte einmal, auf ihr Instrument angesprochen: »Ich Gebe ihn«, was grammatikalisch eine ziemliche Freiheit darstellt, denn auch im Englischen ist das Cello eigentlich ein Neutrum. Russische Cellisten dürfen hingegen ganz korrekt ihre »sie« anschwärmen; in den slawischen Sprachen ist das Cello nämlich weiblich, die Grande Dame unter den Streichinstrumenten. Die einen begeistern sich für den herbmännlichen Klang des Instruments, seine Bariton- und Tenorstimme; andere entzücken sich an den runden, weiblichen Formen des Korpus, den man beim Spiel umfangen darf wie kein anderer Musiker sein Instrument. Ein Cello jedenfalls könnte, frei nach Richard Wagners Zwerg Mime, behaupten: »Ich bin halt Vater und Mutter zugleich«. Wer also wäre besser geeignet als das Cello, Wiegenlieder zu singen! Wobei man diese Genrebezeichnung nicht allzu wörtlich nehmen sollte. Das haben auch Mischa Maisky und Pavel Gililov bei ihrer Auswahl von Lullabies nicht getan. Neben den klassischen Berceusen des Repertoires (und mit diesem ihrem französischen Namen tauchen die Wiegenlieder ja in der Kunst-Musik meist auf) umfaßt die Auswahl eine erkleckliche Anzahl langsamer stimmungsvoller Sätze und Lieder, die nicht minder geeignet sind, ein Kind in den Schlaf zu singen. Wobei das Kind durchaus erwachsen und statt des Schlafs eine friedvolle, besinnliche Stimmung angesagt sein darf. Tatsächlich aber trägt diese kleine Anthologie Mischa Maiskys sehr wohl biographische Züge, und daraus macht er auch gar kein Geheimnis. Maisky: »Wie wohl die meisten Musiker liebe ich diese kleinen Stücke sehr, und in den Konzertprogrammen kommen sie ja kaum vor, allenfalls als Zugabe. Man mag sie meinethalben auch Show-Stücke nennen, wenn man darunter nicht bloß die flinken virtuosen Nummern versteht. Und gerade das Cello präsentiert sich ja in den ausdrucksvollen, melodischen Stücken noch viel besser. Jedenfalls habe ich vierzig oder fünfzig solcher Miniaturen immer wieder gespielt, seit meiner Jugend. Die meisten nach Noten, die ich noch aus Russland mitgebracht habe. Schon lange wollte ich eine Auswahl davon aufnehmen.« Das war also der künstlerische Grund, fehlte nur noch der Anlass. Und der war gegeben, als Mischa Maiskys erstes Kind, eine Tochter, auf die Welt kam. Sie heißt Liliane Bertha, und gerufen wird sie kurz »Lili B.«, Für die Aufnahmesitzungen dieser Kollektion war damit auch schon der wortspielerische Titel »Lullabies for Lili B.« geboren. Wohl dem Baby, das ein solches musikalisches Taufgeschenk mit auf den Lebensweg bekommt. Es sind zum wenigsten Originalkompositionen für Cello und Klavier, die Maisky hier versammelt hat, es sind großenteils Bearbeitungen, deren Titel auch manchen Musikkenner in die Irre schicken können. Die Lösungen dieser Rätsel aber seien hier aufgelistet. Bei der Meditation von Bach- Gounod handelt es sich um das sog. Ave Maria, Gounods grandiose Melodieerfindung zum C-dur- Präludium aus dem ersten Buch von Bachs Wohltemperiertem Klavier. Das Händelsche Larghetto ist der dritte Satz der D-dur-Violinsonate op. 1 Nr. 13, HWV 371, ca. 1750 in London entstanden. Bei der Lullyschen Gavotte mußte auch der Interpret passen: die hat er in einer russischen Bearbeitung noch aus Jugendjahren im Archiv. Russisch ist auch die Bearbeitung des Gluckschen Reigens seliger Geister aus der Oper Orpheus und Eurydike, die nun als Melodie erscheint. Bei Mendelssohns Lied ohne Worte op. 109 handelt es sich hingegen um eine Originalkomposition für Cello und Klavier, eine Rarität, da Mendelssohn die meisten dieser wortlosen Lieder lediglich für Klavier setzte. Eine Rarität ist auch die Cello-Bearbeitung des Chopinschen Prelude, nämlich der Nr. 6 in h-moll aus Opus 28; Bearbeitungen von Chopinschen Nocturnes und sogar von Etüden gibt es en masse, nicht aber der Preludes, und wieder ist es eine russische Adaption. Brahms 'Wiegenlied ist das berühmte »Guten Abend, gut' Nacht«, Nr. 4 aus Opus 49, auf einen Text aus Des Knaben Wunderhorn. Träumerei entstammt natürlich Robert Schumanns Kinderszenenop. 15. Apres un reve ist wohl Gabriel Faures berühmtestes Lied. Es stützt sich auf einen anonymen, von Romain Bussine adaptierten Text »Levati sol que la luna e levata«, wurde wahrscheinlich 1878 komponiert und bereits als Nr. 1 in Opus 7 veröffentlicht, später noch einmal in des Komponisten Sammlung Vingt Melodies. Le Cygne ist der Schwanengesang aus Saint-Saens' Karneval der Tiere. Die Ravelsche Habanera heißt korrekt Vocalise - Etude en forme de Habanera, nicht zu verwechseln mit der Rachmaninowschen Vocalise, und war für Frauenstimme und Klavier gedacht. Rachmaninow hat seine Vocalise, wie der Name sagt, eigentlich für Singstimme komponiert und als letztes seiner 14 Lieder op. 34 plaziert. Und beim Liebesleid Fritz Kreislers handelt es sich um eine Eigenkomposition des großen Geigers. Lieder, Geigenstücke, Flötensoli: Die meist ungenannten Bearbeiter haben voll ins musikalische Repertoire gegriffen. Recht so, denn unsere heutige Scheu vor solchen Adaptionen ist der Musik und erst recht der Musikerseele ganz und gar wesensfremd. Solche Bearbeitungen zum eigenen Gebrauch sind schon Johann Sebastian Bach die selbstverständlichste Sache der Welt gewesen, und bis in unser Jahrhundert hinein haben Komponisten auch eigene Werke oft genug in mehreren Fassungen für die verschiedensten Besetzungen publiziert. »Bei den Bearbeitungen von fremder Hand muß man halt darauf achten, daß diese Arrangements mit gutem Geschmack gemacht wurden«, meint Mischa Maisky, und dafür legt er bei dieser Auswahl die Hand ins Feuer: »Eigentlich sind sie manchmal besser als die Originale.« Da fallen der Stolz des Vaters und des Cellisten in eins. Reinhard Beuth
- Mischa Maisky - Meditation
- Aufnahmeleitung: Herr Heinz Wildhagen
- Aufnahmeort: Neumarkt / Opf., Reitstadel