Es ist heute kaum nachvollziehbar, dass man trotz der epochalen Bach-Renaissance im 19. Jahrhundert Werke des Thomaskantors unterschätzen konnte, galten die Cello-Suiten doch fast 300 Jahre lang nur als reines Etüden-Dickicht, das jeder angehende Virtuose zu durchforsten hatte. Wahre Wunder in der Rezeption bewirkten erst Aufnahmegerät und Wiedergabetechnik. So förderte die legendäre Aufnahme von Pablo Casals in den 30er Jahren Unerhörtes zu Tage, an dem sich alle nachfolgenden Solisten messen lassen müssen, aber auch reiben können. Janos Starkers Einspielung von 1965, die sich trotz überzeugender Vergleichsinterpretationen der Digital-Zeit noch immer beim Hörer durchsetzt, hinterließ selbst bei den qualitätsverwöhnten Producern nachhaltigen Eindruck. Charlotte Gilbert vom Mercury-Label blieben die Sitzungen als eines der fünf großen Ereignisse in 20 Jahren Aufnahmepraxis haften. Keine Frage, Starker lässt den großen Tönen seines Instruments freien Lauf, ohne sie zu forcieren. Zum klanglich abgerundeten Leib und spieltechnischer Erhabenheit gesellt sich die fein verästelte Seele der Interpretation, die der spannungsvollen Bachschen Harmonik höchste Expressivität einhaucht und dem strengen rhythmischen Gerüst der Sätze Schwung verleiht. Wer hört, wie Starker aus orgelnden Doppelgriffpassagen, kombiniert mit fein differenzierter Tempogebung ein angeregtes Frage-Antwort-Spiel entfesselt, wird das viel zitierte Paradoxon verstehen - Bachs Cellosuiten sind Mehrstimmigkeit auf einem Instrument.
Aufnahme: April 1963, September und Dezember 1965 im Ballroom Studio A der Fine Recording Studios, New York,
von C. Robert Fine und Robert Eberenz
Produktion: Wilma Cozart
- Johann Sebastian Bach
- Suiten 1-6 für Violoncello solo
- Janos Starker